Gemeinderatssitzung vom 26. Mai 2023 – Mitte bringt sich ein
26. Mai 2023
Die Mai-Sitzung des Churer Gemeinderates hatte erneut nur eine sehr dünne Traktandenliste. Dies hinderte die Mitte-Fraktion aber nicht daran, gleich mehrere Akzente zu setzen. Gleich zum Auftakt der Sitzung gab Ratspräsident Norbert Waser seiner Betroffenheit über die Resultate einer soeben veröffentlichen Befragung der 13- bis 15-jährigen Jugendlichen in der Stadt Ausdruck. So steht in diesem Bericht, dass in den ausgefüllten 660 Fragebögen nicht weniger als 32 Prozent, also rund ein Drittel der Jugendlichen, ausgesagt hat, dass sie an einzelnen Tagen oder mehr als der Hälfte der Tage Gedanken hätten, dass sie lieber tot wären oder sich Leid zufügen möchten. Erschreckende 22 Prozent der Befragten gab an, schon mal ernsthaft daran gedacht zu haben, sich das Leben zu nehmen. «Liebe Politikerinnen und Politiker: Was läuft da in unserer Gesellschaft falsch? Auf jeden Fall gilt es, die Resultate dieser Jugendbefragung detailliert zu analysieren und daraus Massnahmen abzuleiten», so der «höchste Churer».
An einer vom Gemeinderatspräsidenten im Vorfeld einberufenen Fraktionspräsidenten-konferenz wurde zur Diskussion gestellt, angesichts der wenigen Traktanden der Juni-Sitzung bei der vorliegenden Botschaft zur Teilrevision des Gesetzes über die Politischen Rechte der Stadt Chur auf die Einsetzung einer Vorberatungskommission zu verzichten. Nachdem sich im Vorfeld keine Mehrheit für dieses Vorgehen abzeichnete, erläuterte Fraktionspräsident Silvio Curschellas die Argumente im Rat noch einmal. Die Fakten für eine Behandlung des von Mitte-Gemeinderat Tino Schneider eingebrachten Vorstosses für die Einführung eines Stellvertretersystems würden auf dem Tisch liegen. Durch eine Durchberatung im Rat würde Zeit gewonnen, und über das bereits bei den nächsten Wahlen im Frühjahr 2024 zur Anwendung vorgesehene System Klarheit geschaffen. Zudem hätten die erfahrungsgemäss stark beladenden Traktandenlisten im Herbst entlastet werden können. Bei der mit 17:0 Stimmen beschlossenen Einsetzung einer Vorberatungskommission enthielten sich die Mitglieder der Mitte-Fraktion konsequenterweise der Stimme.
Für einige Nebengeräusche sorgte dann die Besetzung der Vorberatungskommission. Nachdem ein Antrag für die Bildung einer 6-er-Kommission mit der bürgerlichen Mehrheit von 11:10 knapp abgelehnt wurde, galt es, fünf Sitze und das Präsidium zu besetzen. Im ersten Wahlgang schafften Jürg Kappeler (GLP, 18), Jean-Pierre Menge (SP, 17), Gian-Reto Trepp (FDP, 13) und Silvio Curschellas (Mitte, 12) die Wahl. Nachdem im zweiten Wahlgang Mario Cortesi (SVP, 10/9) und Andi Schnoz (Freie Liste/Grüne, 10/9) erneut die gleiche Stimmenzahl erreichten, wurde ein dritter Wahlgang nötig. In diesem setzte sich überraschend Andi Schnoz durch. SVP-Fraktionspräsident Hanspeter Hunger monierte, dass damit mit der in der Geschäftsordnung verankerten Regel, dass die Fraktionen gemäss ihrer Stärke im Rat angemessen vertreten sein sollen, gebrochen worden sei. Als einziger Kandidat für das Präsidium wurde danach Jean-Pierre Menge (SP) gewählt. Der Bericht der Kommission soll bereits bis Ende Juni vorliegen.
Beim folgenden Auftrag betreffend Aufarbeitung der Geschichte des Gedenksteins für deutsche internierte Soldaten auf dem Friedhof Daleu nutzte Erstunterzeichner Tino Schneider (Mitte) die Kompetenz, seine Sicht als Historiker darzulegen. Er kritisierte die nach seiner Ansicht fehlerhafte und Lücken aufweisende Antwort des Stadtrates. Er hätte eine ergebnisoffene Antwort mit einer gewissen Neugier auf die historische Aufarbeitung der Rolle der städtischen Behörden in der nationalsozialistischen Vergangenheit erwartet, sagte Schneider. Nachdem sich der Kanton aufgrund eines Vorstosses im Grossen Rat bereit erklärt hat, eine solche Aufarbeitung aufzugleisen und auch im Gemeinderat noch eine Interpellation von Angela Carigiet Fitzgerald (SP)zu diesem Thema eingereicht worden war, wurde der Auftrag von Tino Schneider ohne Gegenstimme (bei einer Enthaltung) an den Stadtrat überwiesen. Mit einem emotionalen Votum hatte sich zuvor auch Gemeinderat Adrian Meier (Freie Liste/Verda) dafür eingesetzt, damit die schrecklichen Ereignisse der Zeit des Nationalsozialismus nie vergessen werden.
Keine Diskussion gewünscht wurde zur Antwort auf die Interpellation von Corina Cabalzar (SP)betreffend Gleichstellung Kindergartenlehrpersonen und Primarlehrpersonen. Von der Antwort des Stadtrates zeigte sich nur teilweise befriedigt.
Erwartungsgemäss wurde in der Fragestunde das kürzlich eingeführte Ticketsystem «Au Dabi» ein Thema. Auf entsprechende Fragen von Giulia Casale (SP) erläuterte Stadtpräsident Urs Marti die Hintergründe der neuen Abo-Struktur und zeigte anhand von Preisvergleichen auf, dass die Benutzung der Churer Sportanlagen nach wie vor sehr günstig ist. Bereits reagiert hat man auf die Kritik der fehlenden Saisonabos. Marti räumte ein, dass die Bezeichnung «Schnupperabonnement» für das neue Sommer-Saisonabo mit allen inkludierten Leistungen unglücklich formuliert worden sei. Er stellte in Aussicht, dass es in Zukunft sowohl ein Saisonabo nur für den Sommer und nur für den Winter geben werde. Am Preis des «Au dabi»-Abos dürfte aber nicht mehr gerüttelt werden.
Mitte-Stadträtin Sandra Maissen erhielt in der Fragestunde die Gelegenheit, zum Thema Bioabfall Fragen von Andi Schnoz (Freie Liste/Grüne) und von Vincenzo Cangemi (SP) zum Stand der Revision der Grundordnung zu beantworten. Beim Bioabfall zeigte die Vorsteherin des Departements Bau Planung Umwelt die Zusammenhänge und die Dienstleistungen der Stadt auf, die Bewirtschaftung von Grüngutcontainern sei aber in erster Linie Sache der Liegenschaftenbesitzer. Bei einem Anteil von 30 Prozent organischer Abfälle im Haushaltkehricht wäre da aber sicher noch Luft nach oben.
Sehr komplex ist das Projekt Revision Grundordnung Chur, das vom Gemeinderat im April 2022 verabschiedet worden ist. Inzwischen haben sich die verschiedenen Gremien konstituiert, so ein Steuerungsausschuss als Bindeglied zwischen operativer und strategischer Ebene und eine Projekt-Kerngruppe, der auch externe Planerteams angehören. Vom Stadtrat verabschiedet und reif für den Gemeinderat ist der Masterplan Energie und Klima, in Erarbeitung ist die Aktualisierung der Mobilitätsstrategie, die im Winter 2023/2024 in den Gemeinderat kommen soll. Ebenfalls in diesem Zeitraum soll die Botschaft zur Windernergieanlage Oldis II in den Gemeinderat kommen. An der Arbeit ist auch ein Soundingboard, dem 18 Vertreterinnen und Vertreter von Orts- und Quartiervereinen, Interessensgruppen und Fachverbänden angehören. Eine nächste Veranstaltung, die vierte, ist im Juni vorgesehen. Aufgrund der Komplexität und der Schaffung bestimmter Grundlagen ist die Botschaft zur Phase 1 mit den Grundsätzen der Revision Grundordnung etwas in Verzug. Stadträtin Maissen stellte diese für den Herbst 2023 in Aussicht.
Für Diskussionsstoff sorgt die Mitte-Fraktion mit einem von Gemeinderat Norbert Waser initiierten Auftrag betreffend Aufhebung des aus dem Jahr 1989 stammenden Gesetzes für einen menschen- und umweltfreundlichen Stadtverkehr. Anstelle einer längst fälligen Totalrevision dieses Gesetzes, das im Rahmen der aktuellen Klimainitiative noch um zwei Artikel ergänzt werden soll, möchte die Mitte-Fraktion das Gesetz aufheben und die noch zeitgemässen Artikel im Rahmen der Revision der Grundordnung in die entsprechenden Gefässe einbauen. Die Diskussion über dieses brisante Thema ist damit lanciert.
Im Nachgang zur Gemeinderatssitzung luden die im Laufe des letzten Jahres nachgerückten Gemeinderätinnen und Gemeinderat zum schon fast traditionellen «Green-meal» in den Gutsbetrieb Plankis. Hanueli Salis konnte dabei seinen Ratskolleginnen und Ratskollegen einen eindrücklichen Einblick in seinen Betrieb mit Kühen und Geissen geben.